Das Zürcher Unternehmen Climeworks entzieht der Luft Kohlendioxid (CO2), um dieses als Rohstoff für verschiedene Anwendungen zu nutzen. Im Frühjahr 2017 geht in Hinwil (ZH) eine Pilot- und Demonstrationsanlage in Betrieb. Sie scheidet CO2 aus der Atmosphäre ab und nutzt dieses anschliessend in einem Gewächshaus als Dünger. Climeworks hofft, mit der innovativen Technologie einen Beitrag zur Entschärfung der CO2-verursachten Erderwärmung leisten zu können.
Ist der Geist einmal raus, bekommt man ihn kaum wieder rein in die Flasche. Ganz ähnlich wie im Märchen vom Flaschengeist ist es mit dem Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Heizöl, Benzin und anderen fossilen Brenn- und Treibstoffen entsteht und zur Klimaerwärmung mit ihren massiven Folgeschäden beiträgt. Ist das CO2 einmal in der Luft, gibt es kein zurück. Oder vielleicht doch? Die Zürcher Firma Climeworks hat sich zum Ziel gesetzt, den Geist zurück in die Flasche zu packen, also das in die Atmosphäre freigesetzte CO2 wieder einzufangen. Damit will das Unternehmen dem Klimawandel entgegensteuern. Das gewonnene CO2 kann als Rohstoff wieder verwendet werden, womit die Freisetzung weiterer kohlenstoffhaltiger Moleküle in die Atmosphäre vermieden wird.
Das CO2 von 330 Autos einfangen
Seit sieben Jahren arbeitet das Spin-Off der ETH Zürich an diesem Ziel. Mehrere kleinere Anlagen haben bewiesen, dass die CO2-Abscheidung aus der Luft technisch funktioniert. Im Frühjahr 2017 will Climeworks nun in Hinwil im Züricher Oberland die erste Anlage in Betrieb nehmen, die CO2 in namhaftem Umfang aus der Atmosphäre entzieht: 900 t CO2 im Jahr. Das ist so viel Treibhausgas, wie 330 Mittelklasse-Autos (Diesel/6,8 l/15 000 km) pro Jahr ausstossen. Die Pilot- und Demonstrationsanlage in Hinwil besteht aus 18 Modulen, jedes ausgestattet mit einem Spezialfilter, der CO2 aus der Atmosphäre abscheidet (vgl. Textbox 1). Der Abscheideprozess braucht Wärme und Strom. Die Anlage in Hinwil bezieht die benötigte Wärme von der benachbarten Kehrichtverwertungsanlage des Zweckverbands Kehrichtverwertung Zürcher Oberland (KEZO).
Doch wozu sind die 900 t CO2 gut? Im vorliegenden Projekt wird das Kohlendioxid in die nur wenige 100 Meter entfernten Treibhäuser geleitet, in denen die Gebrüder Meier Primanatura AG Nüsslisalat, Cherrytomaten und weitere Gemüsesorten anbaut. Gewächshauskulturen werden (über das in der Luft enthaltene CO2 hinaus) mit zusätzlichem Kohlendioxid versorgt, weil dies die Pflanzen stärkt und den Ertrag fördert. Dabei wird ein Teil des CO2 von den Pflanzen durch Photosynthese aufgenommen, der Rest entweicht in die Atmosphäre. Bisher kauften die Gewächshausbetreiber das CO2 aus der chemischen Industrie zu, wo ‘technisches CO2’ als Abfallprodukt anfällt. Künftig wird das Kohlendioxid nun von Climeworks geliefert. „Wir haben technisches CO2 bisher für Tomaten, Auberginen und Gurken während der Wachstumsperiode von Februar bis Oktober genutzt, künftig werden wir es zusätzlich vielleicht auch im Winter einsetzen, wenn der Nüsslisalat wächst“, sagt Firmenchef Fritz Meier.
Die Anlage in Hinwil wurde gebaut, um zu zeigen, dass „die CO2-Abscheidung aus der Atmosphäre im grösseren Massstab möglich ist“, sagt Climeworks-Mitgründer und -Geschäftsführer Dr. Jan Wurzbacher. Im Erfolgsfall kann das CO2 aus der Luft für verschiedene Zwecke eingesetzt werden, zum Beispiel für die Herstellung von kohlensäure-haltigen Getränken. Nebst den positiven Auswirkungen auf das Klima hat das Verfahren auch ökonomische Vorteile. „Die CO2-Abscheidung aus der Luft macht es möglich, CO2 an Orten lokal bereitzustellen, wo der Rohstoff bisher nur sehr schwer verfügbar ist, so in gewissen Regionen des Nahen Ostens, Afrikas oder Südamerikas, und wo wir bereits heute CO2 zu Marktpreisen anbieten können“, sagt Wurzbacher. „Mit der ständigen Weiterentwicklung unserer Produkte erweitern wir die Anwendungsgebiete und Regionen, in denen wir CO2 aus der Luft kompetitiv anbieten können.“
Synthetische Treibstoffe aus CO2
Das Bundesamt für Energie unterstützt die Anlage in Hinwil im Rahmen ihres Pilot- und Demonstrationsprogramms. Das auf vier Jahre angelegte Projekt will unter anderem unter realen Bedingungen klären, zu welchen Kosten und mit wie viel Energie die CO2-Gewinnung aus der Atmosphäre möglich ist. Kosten und Energiebedarf – das sind zentrale Faktoren, die am Ende über das Geschäftsmodell von Climeworks entscheiden dürften. Im Erfolgsfall könnte eine Vision von Climeworks Realität werden: die Nutzung des aus der Luft gewonnenen CO2 für die Herstellung von synthetischem, klimaneutralem Treibstoff. Climeworks kooperiert nach diesem Ansatz mit dem Autohersteller Audi und der Dresdner Treibstoffproduzentin Sunfire. In den nächsten zwei bis drei Jahren, so Wurzbacher, soll eine erste Produktionsanlage für synthetischen Treibstoff, hergestellt aus atmosphärischem CO2, in Betrieb gehen.
Bereits erprobt ist die Herstellung von synthetischem Erdgas aus Kohle oder Biomasse (auch: Synthetic Natural Gas/SNG), das für den Antrieb von Gasautos genutzt wird. Will man synthetisches Erdgas auf erneuerbare Art und Weise herstellen, gelingt das durch die Methanisierung von CO2 mit Wasserstoff. Der hierfür nötige Wasserstoff kann aus Wasser durch Elektrolyse hergestellt werden. Wird für alle Prozessschritte (CO2-Abscheidung, Elektrolyse, Methanisierung) erneuerbare Energie (z.B. aus Solarzellen oder Windkraftwerken) verwendet, entsteht ein Treibstoff, der wie Benzin, Diesel oder Kerosin in einem Verbrennungsmotor verbrannt werden kann, der aber keinen (direkten) fossilen Anteil enthält. Ein mit diesem Treibstoff angetriebenes Gasauto stösst nur soviel CO2 aus, wie für die Herstellung des Treibstoffs aus der Luft abgeschieden wurde; sein Motor arbeitet also CO2-neutral. Für Urs Elber vom Kompetenzzentrum für Energie und Mobilität am Paul Scherrer Institut (Villigen/AG) ein interessanter Ansatz: „Erneuerbarer Strom wird bei der Umwandlung in synthetisches Erdgas weniger effizient genutzt als direkt in Elektromobilen. Allerdings hat synthetisches Erdgas den Vorteil, dass es sich dann produzieren lässt, wenn mehr Strom ins Netz fliesst als gerade verbraucht wird (z.B. bei viel Sonne und Wind). Zudem lässt es sich gut speichern, auch saisonal. Bei zukünftig ähnlichen Gestehungskosten wie aus fossilen Quellen hat solcher Treibstoff durchaus eine Chance auf Wirtschaftlichkeit.“
Forschung an synthetischen flüssigen Treibstoffen
Der Autokonzern Audi betreibt im deutschen Werlte (Niedersachsen) seit 2013 eine Anlage, die aus Wasserstoff und CO2 synthetisches Erdgas herstellt. Das CO2 stammt bisher allerdings nicht aus der Luft, sondern aus Biogas. Mit der Jahresproduktion der Anlage können 1 500 gasbetriebene Autos jährlich 15 000 km zurücklegen. Noch einen Schritt weiter geht die Herstellung flüssiger Treibstoffe wie synthetisches Benzin/Diesel/Kerosin (kurz: ‘Power-to-L’, wobei L für ‘liquid’/flüssig steht). Auch hierfür sind CO2 (oder CO) und Wasserstoff die Grundstoffe. Die Firma Sunfire aus Dresden hat mit einer Pilotanlage gezeigt, wie sich massgeschneiderte synthetische Flüssigtreibstoffe mit den gewünschten Eigenschaften herstellen lassen. Momentan arbeitet die Firma an der grosstechnischen Implementierung dieser Technologie. Solche flüssigen synthetischen Treibstoffe könnten nebst Biokerosin die Möglichkeit eröffnen, auch im Flugverkehr auf erneuerbare Energien umzusteigen.
Welche Rolle synthetische Treibstoffe in Zukunft spielen werden, ist zur Zeit noch offen. Gegenwärtig und auf absehbare Zeit ist in der Schweiz nicht genügend Überschussstrom aus erneuerbaren Energiequellen verfügbar, um synthetische Treibstoffe sinnvoll herstellen zu können. Eine wichtige Frage ist ferner, auf welchem Weg erneuerbarer Strom in der Mobilität genutzt werden soll: Als Flüssigtreibstoff? Als synthetisches Erdgas in gasbetriebenen Fahrzeugen? Als Wasserstoff in Brennstoffzellenfahrzeugen? Oder doch direkt als Strom in Elektromobilen? „Zurzeit sind noch zahlreiche technische, ökologische und ökonomische Fragen offen, die wir in Forschungs- und Pilotprojekten untersuchen müssen. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass synthetische Treibstoffe eine positive ökologische Gesamtbilanz aufweisen“, sagt Philippe Müller, Leiter der BFE-Sektion Cleantech. Synthetische Treibstoffe dürften nicht dazu führen, dass die Effizienzziele im Autoverkehr ausgehöhlt werden, betont Müller: „Wir brauchen effiziente Autos und sauberen Treibstoff.“
Atmosphäre von CO2 reinigen
Die Climeworks-Gründer Jan Wurzbacher und Christoph Gebald hatten die Grundlagen des neuartigen CO2-Filters und des zugehörigen Prozesses zur Abscheidung von CO2 vor zehn Jahren während ihrer Ausbildung an der ETH Zürich entwickelt, dies in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa). Ein erster Demonstrator hatte eine Abscheideleistung von ca. 2 t CO2/Jahr. Das heute verfügbare Standardmodul von Climeworks fängt 50 t CO2/Jahr ein. Climeworks glaubt, dass Grossanlagen längerfristig stattliche Mengen von CO2 aus der Luft abscheiden könnten. Wird das Gas anschliessend in tiefen Gesteinsschichten deponiert (anstelle als Treibstoff weiterverwendet), wird dadurch netto CO2 aus der Atmosphäre entfernt und so dem Klimawandel entgegengesteuert. „Um die weltweiten Klimaziele zu erreichen, reicht es gemäss den Szenarien des Weltklimarats nicht, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Zusätzlich müssen pro Jahr 10 Mrd. t Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden, das entspricht einem Drittel der heutigen globalen Emissionen aus Öl, Gas und Kohle.“, sagt Jan Wurzbacher. Um diese Mengen zu erreichen, wären rein rechnerisch gut elf Millionen Anlagen vom Typ Hinwil erforderlich, ergänzt um die entsprechenden CO2-Lagerungseinrichtungen.
Eine Herkulesaufgabe also, von der sich Jan Wurzbacher aber nicht abschrecken lässt: „Um jedes Jahr 1% der globalen CO2-Emissionen aus der Luft zu filtern, bräuchte man ca. 750‘000 Schiffscontainer, gefüllt mit unseren Modulen. Das ist die Anzahl Container, die innerhalb von zwei Wochen im Hafen von Shanghai abgefertigt werden.“ Der Climeworks-Geschäftsführer ist überzeugt, dass die Abscheidung und Tiefenlagerung von CO2 im Rahmen der globalen Wirtschaftsleistung ein gangbarer Weg ist, um zur Lösung des Klimaproblems beizutragen.
CO2-Speicherung ist technisch machbar
Wie ein solcher Kraftakt politisch und finanziell zu bewältigen wäre, steht heute noch in den Sternen. Rein technisch gesehen stellen sich hingegen keine unüberwindlichen Hürden. „Die Abscheidung und Speicherung von CO2 ist technisch machbar und sicher“, sagt Gunter Siddiqi, Bereichsleiter des BFE-Forschungsprogramms Geoenergie. „Szenarien des bundeseigenen Paul Scherrer Instituts weisen darauf hin, dass die Abscheidung und Speicherung von CO2 dazu dienen kann, die Klimaziele mit tiefstmöglichen Investitionskosten umzusetzen.“ Global betrachtet wird alleine die Förderung der erneuerbaren Energien, so Siddiqi, zur Erreichung der Ziele nicht ausreichen. Noch offen ist zur Zeit, wo CO2 in der Schweiz auf lange Sicht gespeichert werden kann. Denkbar sind salzwasserhaltige Gesteinsformationen des schweizerischen Mittellandes in Tiefen von rund 1‘000 – 2‘500 Metern. Die Überlegungen im Ausland gehen dahin, das CO2 in erster Line dort abzuscheiden, wo es in grossen Menge anfällt, z.B. in Kehrrichtverbrennungsanlagen, Zementwerken und in der chemischen Industrie.