Wer Diesel oder Benzin tankt, weiss mitunter gar nicht, dass darin Biotreibstoff enthalten ist. Denn geringe Beimischungen müssen nicht ausgewiesen werden. Biogene Treibstoffe machen in der Schweiz fast sieben Prozent (Diesel) bzw. annähernd drei Prozent (Benzin) des verkauften Treibstoffs aus. Sie könnten in den nächsten Jahren einen wachsenden Beitrag zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen im Mobilitätssektor leisten. Dies dank ihrer biogenen Herkunft, aber auch dank Effizienzsteigerungen in angepassten Motoren. Das zeigt ein Team aus Forschenden der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in einer neuen Studie.
Das Netto-Null-Ziel des Bundesrats zur Treibhausgas-Reduktion bis ins Jahr 2050 ist nur zu erreichen, wenn der Mobilitätssektor einen massgeblichen Beitrag zur Dekarbonisierung leistet. Das bedeutet, die fossilen Energieträger Benzin und Diesel müssen durch andere Treibstoffe und Energiesysteme ersetzt werden. Dazu gehören unter anderem Treibstoffe biogenen Ursprungs. Nicht von ungefähr sind diese Treibstoffe Gegenstand der aktuellen Schweizer Verbrennungsforschung, die auf zukunftsfähige
Technologien ausgerichtet ist. Wie solche Forschung aussehen kann, zeigt das Beispiel des ehemaligen ETH-Forschers Dr. Christophe Barro.
Der ausgebildete Maschinenbauingenieur hat mit einem ETH-Kollegen das Start-up Vir2sense (Baar / ZG) gegründet. Das Jungunternehmen widmet sich der Modellierung des Verbrauchs und der Schadstoffemissionen von Grossmotoren. Denn anders als bei Personenwagen, wo mit dem Elektroantrieb eine ernsthafte Alternative verfügbar ist, sind fossile Motoren in der Schifffahrt oder bei Baumaschinen, aber auch beispielsweise bei mobilen Stromaggregaten etwa für Open-Air- Konzerte oder die Notstromversorgung, weiterhin gefragt. «Die Technologie des Verbrennungsmotors wird uns auf absehbare Zeit weiter begleiten, wir müssen hier ökologisch und auch wirtschaftlich bestmögliche Lösungen finden », sagt Christophe Barro.
BIOTREIBSTOFFE WIE HVO UND OME
In diese Richtung weist ein vom BFE unterstütztes Forschungsprojekt, das Barro im Frühjahr 2021 an der ETH abgeschlossen hat. Darin untersuchte ein Team aus Forschenden von ETH und Empa den Einsatz von Biotreibstoffen. Diese Treibstoffe werden aus Biomasse hergestellt – in der Schweiz sind das vorrangig biogene Abfälle und Produktionsrückstände, weltweit aber auch Öl-, Zucker- und Stärkepflanzen. Ihre Verbrennung produziert nur so viele Treibhausgase, wie beim Wachstum der Biomasse durch die Pflanzen aufgenommen wurde. Biotreibstoffe werden in der Schweiz Diesel und Benzin beigemischt, in gasbetriebenen Autos eingesetzt (Biomethan) und von Bauern in Traktoren verwendet (vor allem Rapsöl). Gemäss dem Verband Biofuels Schweiz machten 2019 biogene Treibstoffe 6.7 Prozent am landesweiten Dieselverbrauch aus, 2.6 Prozent am Benzinverbrauch.
Wo Biotreibstoffe heute und in Zukunft zur Anwendung kommen, sollen sie mit bestmöglicher Effizienz eingesetzt werden. Zu diesem Zweck haben die Forschenden von ETH Zürich und Empa das Potenzial zur CO2-Minderung von zwei Biotreibstoffen für Dieselmotoren untersucht: Der eine besteht aus hydriertem Pflanzenöl und ist bekannt unter dem Kürzel HVO (für engl. ‹Hydrotreated Vegetable Oil›). HVO kann aus verschiedenen Ausgangsstoffen und mit unterschiedlichen Verfahren hergestellt werden. Das Zürcher Forscherteam nutzte HVO des finnischen Unternehmens Neste Oil, das HVO fast ausschliesslich aus Pflanzenölen und fetthaltigen Abfallstoffen produziert. Der zweite untersuchte Treibstoff ist OME (kurz für: Polyoxymethylendimethylether). Wird OME aus Biomasse hergestellt, was eines von mehreren Herstellungsverfahren ist, handelt es sich ebenfalls um einen Biotreibstoff.
WENIGER RUSS, HÖHERE ANTRIEBSENERGIE
Das Forscherteam hat diese zwei Biotreibstoffe in verschiedenen Treibstoffgemischen untersucht und dabei gezeigt, dass Biotreibstoffe die CO2-Bilanz um rund 90 Prozent verbessern (vgl. Grafik 01). Dass es nicht 100 Prozent sind, liegt daran, dass bei Produktion und Transport von HVO
ebenfalls Treibhausgas-Emissionen entstehen. Nach Einschätzung von Christophe Barro hat besonders HVO das Potenzial, einen Beitrag zur Erreichung des Netto-Null-Ziels an Treibhausgasemissionen bis 2050 zu leisten. Auf HVO basiert der in der Schweiz erhältliche C.A.R.E.- Diesel. Skeptischer ist Barro bei OME, weil dieser Treibstoff bei der Herstellung relativ viel Energie braucht. Der Vorzug von OME ist seine hohe Dichte: OME kann mit HVO und einem Stabilisator zum Biotreibstoff R100 vermischt werden. Dieser genügt – anders als HVO für sich genommen – den gesetzlichen Anforderungen an die Dichte von Diesel. Die Forscherinnen und Forscher von ETHZ und Empa haben in ihrem Projekt auch untersucht, wie ein Maximum an Antriebsenergie aus den Biotreibstoffen herausgeholt werden kann, also wie sich mit ihnen maximale Effizienzgewinne erzielen lassen. Hintergrund dieses Forschungsansatzes ist der Umstand, dass mit Biotreibstoffen betriebene Dieselfahrzeuge weniger Energie für die Regeneration des Russpartikelfilters brauchen, da Biotreibstoffe weniger ringförmige Kohlenwasserstoff- Verbindungen enthalten als Dieselkraftstoff und somit weniger Russ produzieren. Wird die Software des Motors richtig eingestellt, kann man die Einsparungen beim Partikelfilter in zusätzliche Antriebsenergie ummünzen. Die so erzielten Effizienzgewinne betragen im günstigen Fall gut zwei Prozent (vgl. Grafik 02).
TREIBSTOFF OPTIMAL EINSETZEN
Interessanterweise lässt sich dieser Effizienzgewinn nicht nur ernten, wenn ein Fahrzeug ausschliesslich mit Biotreibstoff befüllt wird, sondern auch, wenn der Biotreibstoff nur anteilig im Treibstoffgemisch enthalten ist. Der erzielbare Effizienzgewinn ist stark von der Motorkonfiguration abhängig (beispielsweise Hoch- oder Niederdruckabgasrückführung, Volumenstrom in der Abgasnachbehandlung). Da viele relevante Effekte nicht linear sind, machen sich die Vorteile von Biotreibstoffen in einigen Fällen schon bei einer geringen Beimischung bemerkbar. Die praktische Bedeutung dieses Ergebnisses beschreibt Christophe Barro so: «In gewissen Motorkonfigurationen erzielt man insgesamt einen höheren Effizienzgewinn, wenn man fünf Fahrzeuge mit einem Gemisch aus 80 Prozent Diesel und 20 Prozent HVO betankt, als wenn man ein Fahrzeug mit 100 Prozent HVO betankt und die anderen vier mit reinem Diesel. Mit der von uns entwickelten Simulationsplattform findet man sehr schnell heraus, wie man einen bestimmten Biotreibstoff optimal einsetzt.»
Die Effizienzgewinne aufgrund der chemischen Zusammensetzung der Biotreibstoffe ermöglichen eine CO2-Minderung, denn aus einem Joule – der Energiemenge – Treibstoff resultiert eine grössere Fahrleistung als bei Diesel. Diese CO2-Minderung ist allerdings eher gering, wenn man sie in einen Vergleich setzt zur CO2-Minderung aufgrund der biogenen Herkunft des Treibstoffs (vgl. Grafik 03).
MESSUNGEN AM ETHZ-PRÜFSTAND
Die Motorenversuche und Treibstofftests fanden unter anderem an einem Prüfstand der ETH Zürich statt. Diesem liegt ein Ein- Zylinder-Dieselmotor mit vier Liter Hubraum zugrunde, also ein leistungsstarker Heavy-Duty-Motor, wie er typischerweise in einer Fähre mit sechs bis 16 Zylindern zum Einsatz kommt. Die Messungen wurden ergänzt durch Simulationen eines Motors mit 12 Liter Hubraum, wie er etwa in einem Lkw oder einer Baumaschine verbaut ist.
Die Ergebnisse des ReVerDi-Projekts sind von grundlegender Bedeutung für die Dekarbonisierung des Mobilitätssektors, wie Dr. Luca Castiglioni, verantwortlich für das BFE-Forschungsprogramm Mobilität, sagt: «Biogene Treibstoffe wie OME oder HVO können zu einem viel grösseren Prozentsatz
Benzin und Diesel zugemischt werden, als dies heute der Fall ist, und dies ohne Einbussen bei der Leistung und mit einer deutlichen Reduktion der CO2-Emissionen. Da solche Mischungen auch bei konventionellen Pkw- und Lkw-Motoren eingesetzt werden können, erlauben sie auch schnelle CO2-Minderungen im aktuellen Fahrzeugpark.»
VIER PROJEKTPARTNER
Die Forschungsarbeiten zum Projekt ReVerDi beruhen unter anderem auf den Vorarbeiten des Projekts NextICE, in dem ebenfalls ein Forscherteam aus ETHZ und Empa den Einsatz von biogenen und mit regenerativem Strom synthetisch hergestellten Treibstoffren (e-fuels) in Verbrennungsmotoren untersucht hatte (vgl. BFE-Fachartikel ‹Ein Motor gemacht für erneuerbare Treibstoffe›, abrufbar unter: https://pubdb.bfe.admin.ch/de/publication/download/9725).
Die Empa fokussierte im vorliegenden Projekt ihre Arbeiten auf den Bereich Abgasnachbehandlung, die Jungunternehmen Vir2sense und Combustion and Flow Solutions GmbH (Zürich) steuerten Modellierungen bei. Im Zuge von ReVerDi wurde unter anderem ein modulares Simulationssystem entwickelt, um die Optimierung von Motor und Abgasnachbehandlung mit unterschiedlicher Komponentenanordnung und verschiedenen Kraftstoffen zu ermöglichen. BV
HINWEISE
Den Schlussbericht (in Englisch) zum BFE-Forschungsprojekt ‹Platform to reduce fuel consumption and CO2 emissions of diesel power units using optimized operation and alternative fuels› (ReVerDi) finden Sie unter: www.aramis.admin.ch/Grunddaten/?ProjectID=41489
Auskünfte zu dem Projekt erteilt Dr. Luca Castiglioni (luca.castiglioni@bfe.admin.ch),
Leiter des BFE-Forschungsprogramms Mobilität. Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Mobilität finden Sie online auf der Internetseite des BFE unter
www.bfe.admin.ch/ec-mobilitaet.