Die weltweite Entwicklung der Kernenergie geht weiter. Über 70 kommerzielle Reaktoren stehen derzeit im Bau. Darüber hinaus wird an der Kernkraftwerkstechnologie für morgen und für übermorgen geforscht. Derweil fürchten sich viele Leute vor der Radioaktivität. Das ist nicht immer begründet, wie Beispiele aus der Natur zeigen.

Während zurzeit die leistungsstarken und sehr sicheren Leichtwasserreaktoren der dritten Generation im Bau stehen, arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure weltweit an neuartigen Reaktortypen. Dazu gehören kleine, modulare Reaktoren für die Welt von morgen wie auch die Reaktorsysteme der nächsten, vierten Generation für übermorgen. Gemäss der Definition der Internationalen Atomenergie-Organisation gelten Reaktorsysteme als «klein», wenn ihre elektrische Leistung geringer ist als 300 Megawatt (MW). Zum Vergleich: Ein Block des Kernkraftwerks Beznau leistet 365 MW und Leibstadt, das grösste Kernkraftwerk der Schweiz, hat eine Leistung von 1275 MW.

Klein und modular
Heute werden die kleinen Reaktorsysteme meist mit dem Sammelbegriff «Small Modular Reactors» (SMR) bezeichnet. SMR zeichnen sich aus durch ein hohes Mass an passiver Sicherheit. Das heisst, dass bei Störfällen die Sicherheit der Anlage auch ohne Energiezufuhr oder Massnahmen der Bedienungsmannschaft gewährleistet ist. SMR brauchen wenig Wartung und können ohne Nachladung während etlicher Jahre oder gar Jahrzehnte Wärme und Strom liefern. Entsprechend tief bleiben die Betriebskosten. Sie können wegen ihrer geringen Grösse unterirdisch gebaut werden, oder in unmittelbarer Nachbarschaft von Verbrauchern. Daher eignen sie sich auch für Regionen mit einem wenig ausgebauten Hochspannungsnetz. SMR können bei Bedarf schrittweise zu grösseren Produktionsanlagen erweitert werden. Sie können in einer Fabrik fertig montiert, danach per Lastwagen an den Einsatzort gebracht und allenfalls nach Ende der Betriebszeit wieder zurückgebracht werden.

SMR im Bau
In Argentinien steht seit Februar 2014 der Carem-25 offiziell im Bau. Dieser Prototyp mit einer Nettoleistung von 25 MW soll 2016 ersten Drucktests unterzogen und 2017 mit Brennstoff beladen werden. In China ist Ende 2012 mit dem Bau eines Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktors begonnen worden. Russland baut auf der Basis von nuklearen Schiffsantrieben ein schwimmendes Kernkraftwerk: Die Akademik Lomonosow wird über zwei Reaktoreinheiten mit einer Nettoleistung von je 35 MW verfügen und kann abgelegene Regionen in Sibirien mit Strom versorgen. Die Inbetriebnahme ist für September 2016 geplant.

Vierte Generation für übermorgen
Auch die nächste Generation von kommerziellen Reaktoren für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts hat das Planungsstadium teilweise schon hinter sich gelassen. Diese Systeme der sogenannten vierten Generation werden zusammen mit den erneuerbaren Energien den Schlüsselbeitrag zur nachhaltigen Sicherung der Energieversorgung der Menschheit bilden. Unter der Leitung des «Generation IV International Forum» (GIF) entwickeln Wissenschaftler aus 12 Ländern – darunter die Schweiz – und die Europäische Atomgemeinschaft Euratom neue Reaktoren und Brennstoffkreisläufe für die Zeit nach 2040, die den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren, die Menge des radioaktiven Abfalls erheblich vermindern und den Missbrauch für Kernwaffen wesentlich erschweren. Seit der Gründung des GIF haben die teilnehmenden Länder bedeutende Mittel in die Entwicklung von sechs Reaktorkonzepten investiert. Priorität haben der Hochtemperaturreaktor (Very-High-Temperature Reactor, VHTR) und der natriumgekühlte Schnelle Reaktor (Sodium-Cooled Fast Reactor, SFR). Daneben arbeitet das Konsortium an gas- und bleigekühlten Schnellen Reaktoren (Gas-Cooled Fast Reactor, GFR/Lead-Cooled Fast Reactor, LFR), an Salzschmelze-Reaktoren (Molten Salt Reactor, MSR) und an Leichtwasserreaktoren mit überkritischem Dampf (Supercritical Water Cooled Reactor, SCWR). All diese Systeme haben gemeinsam, dass sie Weiterentwicklungen von bestehenden Systemen sind oder auf bereits gebauten Experimentalreaktoren basieren. In Russland soll noch 2014 ein Schneller Reaktor in Betrieb gehen und in China stehen Demonstrationsanlagen mit der Hochtemperaturtechnologie in Bau.

Radioaktivität ist in der Natur allgegenwärtig
Trotz dieser vielversprechenden Aussichten für die nahe und fernere Zukunft soll die Schweiz gemäss der «Energiestrategie 2050» des Bundesrats auf die Kernenergie verzichten. Der Widerstand gegen die Nukleartechnologie gründet teilweise auf der Angst vor dem komplexen, aber natürlichen Phänomen der ionisierenden Strahlung. Radioaktivität ist für viele Menschen etwas Unheimliches: Wir können sie – wie manche chemische Gifte auch – weder sehen, noch riechen, noch fühlen. Und doch ist Radioaktivität in der Natur etwas Allgegenwärtiges. Sie kommt sogar in uns Menschen vor: Jede men schliche Körperzelle beherbergt etwa eine Million radioaktiver Atome. Jede Sekunde zerfallen etwa 9 000 Atome und senden dabei Strahlung aus. Mehr als die Hälfte davon stammt aus natürlich vorkommenden Kalium-Atomen, die mit der Nahrung in unseren Körper gelangen. Alle unsere Nahrungsmittel wie auch das Trinkwasser sind natürlicherweise schwach radioaktiv. Etwas erhöhte Radioaktivität enthalten beispielsweise Bananen, Paranüsse, weisse Bohnen, Karotten oder Kartoffeln.

Einfluss von Geologie und Höhenlage
Die Nahrung trägt jedoch nur wenig zur gesamten Strahlenbelastung bei (siehe Grafik). Etwa gleich stark werden wir aus den Gesteinen und Baustoffen  (terrestrische Strahlung) und aus dem Weltraum (kosmische Strahlung) bestrahlt. Dabei gibt es grosse Unterschiede von Ort zu Ort: Je nach Geologie ist in den Alpen die terrestrische Strahlung höher als im Mittelland. Dazu kommt noch die Höhenlage: Je höher jemand wohnt, desto weniger wird die kosmische Strahlung durch die Atmosphäre abgeschwächt, so dass die Belastung in den Bergtälern mehr als doppelt so stark sein kann wie im Tiefland. Noch stärker ins Gewicht fällt die kosmische Strahlung beim Fliegen: In 10’000 Metern Höhe ist sie rund hundertmal stärker als am Boden.

Hohe Dosen vom natürlichen Radon und aus der Medizin
Der Löwenanteil der natürlichen Strahlung stammt in der Schweiz jedoch vom Radon. Radon ist ein Edelgas, das beim radioaktiven Zerfall des natürlichen Urans in unseren Gesteinen entsteht und seinerseits in weitere radioaktive Stoffe zerfällt. Es steigt aus dem Boden auf und seine Zerfallsprodukte können sich in schlecht belüfteten Räumen anreichern und über die Atmung in die Lunge gelangen. Radon kommt überall in der Schweiz vor, mit sehr grossen lokalen Schwankungen. Die höchsten Belastungen werden in den Alpen und im Jura gemessen, aber auch in vereinzelten Gebieten im Mittelland. Ein weiterer wesentlicher Teil der gesamten jährlichen Strahlendosis stammt aus der Medizin, meist aus der Röntgendiagnostik. Eine einzige computertomographische Untersuchung (CT) kann in Sekunden zu einer Dosis von bis zu 10 Millisievert (mSv) führen – die Hälfte des Grenzwerts für beruflich strahlenexponiertes Personal in einem Jahr.

Kernkraftwerke: kaum Emissionen
Kaum ins Gewicht fallen die technischen Strahlenquellen in Industrie, Forschung und von schwach radioaktiven Gegenständen des täglichen Lebens, und ebenso wenig die Spuren aus den Atombombenversuchen vor 50 Jahren oder aus dem Unfall in Tschernobyl. Die Strahlendosen in der Umgebung der Schweizer KKW sind noch geringer und im Vergleich zu den natürlichen Strahlenquellen bedeutungslos. Sie betragen pro Person und Jahr rund 0,001-0,005 mSv und damit weniger als ein Tausendstel der gesamten durchschnittlichen Strahlenexposition in der Schweiz. Diese beträgt nach den Berechnungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) rund 5,6 mSv pro Jahr. In anderen Weltgegenden ist jedoch allein schon die natürliche Strahlung aus dem Boden höher, so zum Beispiel in Cornwall, England (7,8 mSv pro Jahr). Besonders hohe Werte wurden wegen der hohen Konzentration von natürlichem Thorium oder Uran im Erdboden in Brasilien (Badestrand von Guaraparí), in Indien (Bundesstaat Kerala) oder im Iran (Kurort Ramsar am Kaspischen Meer) festgestellt. Die dort gemessenen Werte sind gleich hoch oder sogar deutlich höher als die Strahlendosen im Grossteil der Gebiete, die nach dem Kernkraftwerksunfall in Fukushima im März 2011 evakuiert wurden und die bis heute für das Wohnen gesperrt sind.

Vorsicht ja, aber keine irrationalen Ängste!
Wie in Japan gibt es auch in den genannten Regionen keine Hinweise auf erhöhte strahlenbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen in der Bevölkerung. Zu diesem Schluss kam auch der Wissenschaftliche Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung (Unscear). Die Unscear-Experten halten in ihrem anfangs April 2014 veröffentlichen Bericht fest, dass die Bewohner der Präfektur Fukushima in ihrem Leben aufgrund des Reaktorunfalls eine zusätzliche effektive Strahlendosis von 10 mSv aufnehmen werden. Das entspricht der oben erwähnten Dosis bei einer einzigen computertomographischen Untersuchung oder der Hälfte des Grenzwerts für beruflich strahlenexponiertes Personal in einem Jahr. Selbstverständlich sind beim Umgang mit radioaktiven Substanzen Vorsichtsmassnahmen angebracht – wie bei vielen anderen giftigen Stoffen, die in der Industrie routinemässig verwendet werden. Die in der Natur vorkommende Radioaktivität zeigt uns jedoch, dass man nicht per se Angst davor haben muss. Auf keinen Fall sollten irrationale Ängste die Debatte über unsere zukünftige Energiepolitik bestimmen. Vielmehr müssen dabei sachlich die Vor- und Nachteile aller Energieproduktionsarten bedacht und abgewogen werden.

Weitere Informationen:
www.nuklearforum.ch