Die Idee klingt auf Anhieb verlockend: Die Batterien von Elektroautos könnten zu Tageszeiten mit viel Sonnenschein geladen werden, um Solarstrom zwischenzuspeichern, bis er Stunden später von den Stromkonsumenten gebraucht wird, beispielsweise für den Betrieb des Elektroautos, aber auch für andere Zwecke. Tessiner Experten für Elektromobilität haben dieses Konzept nun im Rahmen eines vom Bundesamt für Energie unterstützten Pilotprojekts einer genaueren Prüfung unterzogen – und mit dem Alternativkonzept unter Einbezug eines stationären Energiespeichers verglichen. Die vor kurzem abgeschlossene Studie zeigt das Potenzial beider Ansätze, warnt aber auch vor unrealistischen Erwartungen.
Am 23. Juni 1995 hat Mendrisio Geschichte geschrieben: An dem Tag wurde in der Tessiner Gemeinde ein von Bund und Kanton Tessin getragener Pilotversuch zur Elektromobilität gestartet. Ziel war, Elektroautos im Tessin zum Durchbruch zu verhelfen. Die Zielmarke von 350 Elektromobilen wurde in den folgenden sieben Jahren nicht nur erreicht, sondern deutlich übertroffen. Vielleicht noch wichtiger als die nackten Zahlen war die Bewusstseinsbildung weit über die Grenzen des Südkantons hinaus: In diesen Pionierjahren gelang es den Elektroautos, von Schweizerinnen und Schweizer als ernst zu nehmendes Ökofahrzeug anerkannt zu werden.
Zusatznutzen für Batterien von Elektroautos
Heute sind auf Tessiner Strassen nach Schätzungen etwa 1000 reine Elektromobile unterwegs. Die stetig wachsende Zahl von elektrisch betriebenen Fahrzeugen hat die Frage aufkommen lassen, ob die in Elektroautos verbauten Stromspeicher zur Pufferung von erneuerbarem Strom aus Solar- und Windkraftwerken genutzt werden könnten. Der Bedarf für solche Pufferspeicher dürfte im Zuge des Ausbaus von Solar- und Windkraftwerken zunehmen. Denn Solarstrom (und entsprechend auch Windstrom) wird mitunter zu Zeiten mit relativ geringer Nachfrage produziert.
Mit Speichern könnte der erneuerbare Strom für einige Zeit gepuffert werden, bis die Konsumenten ihn benötigen. Zu dem Zweck könnten Elektroautos jenen Teil ihrer Batteriekapazität, der nicht für Fahrleistung benötigt wird, als Batteriespeicher für PV- und Windstrom zur Verfügung stellen. Dieser Frage widmete sich nun eine Studie der Enerti AG, einer Dienstleistungsgesellschaft von zehn Tessiner Energieversorgungsunternehmen. Das Bundesamt für Energie hat die Untersuchung im Rahmen seines Pilot- und Demonstrationsprogramms unterstützt.
Stationäre und mobile Speicher
Die Wissenschaftler von Enerti haben in ihrer Untersuchung im Wesentlichen zwei Konzepte gegenübergestellt: Im ersten Fall wird eine Photovoltaik-Anlage mit einem stationären Stromspeicher und einer Ladestation für Elektroautos kombiniert (vgl. Schema 1): Der produzierte PV-Strom wird entweder a) zum Laden des Elektroautos verwendet, b) im stationären Batteriespeicher gespeichert, c) im angeschlossenen Haushalt verbraucht oder d) ins allgemeine Netz eingespeist. Im zweiten Konzept gibt es keinen stationären Batteriespeicher, vielmehr wird hier nun die im Elektroauto eingebaute, mobile Batterie zur Pufferung des Solarstroms genutzt (vgl. Schema 2). Der produzierte PV-Strom wird entweder a) zum Laden des Elektroautos verwendet (und damit dort gespeichert), b) im angeschlossenen Haushalt verbraucht oder c) ins Netz eingespeist.
Beide Konzepte wurden von 2015 bis 2017 jeweils an vier Tessiner Standorten während ein- bis zwei Jahren getestet. Als mobiler Speicher kam für den zweiten Fall ein Nissan Leaf zum Einsatz. Seine Batterie hat eine Speicherkapazität von 24 kWh. Damit das Elektroauto jederzeit fahrbereit sein konnte, wurde nur knapp die Hälfte der Batteriekapazität (ca. 10 kWh) für Speicherzwecke vorgehalten – die Kapazität war somit gleich hoch wie jene der stationären Batteriespeicher. Die mobile Speicherbatterie wurde auch genutzt, um über den Tag produzierten PV-Strom zu puffern, bis er abends bzw. nachts für die Versorgung angeschlossener Haushalte verwendet werden konnte.
Speicher erhöht Eigennutzungsgrad
Elektroingenieur Franco Bullo, der das Enerti-Projekt leitete, hat die gewonnenen Erkenntnisse Anfang 2018 in einem Schlussbericht zusammengefasst. Dieser enthält unter anderem die Resultate zu den Untersuchungen, welcher Anteil des PV-Stroms sich für den Betrieb des Elektroautos nutzen lässt, also welcher Eigennutzungsgrad erreicht werden kann. Mit dem stationären Speicher waren es zwischen 46% (Bellinzona) und 84% (Mendrisio). An den Standorten mit mobilem Batteriespeicher lag der Anteil des PV-Stroms merklich tiefer, nämlich zwischen 31% (Giubiasco) und 45% (Muzzano).
Bullo und sein Forscherteam haben in einem zweiten Schritt errechnet, wie sich der Eigennutzungsgrad verändert, wenn entweder a) die PV-Anlage bzw. b) der Batteriespeicher vergrössert wird. Fazit: Mit der Vergrösserung der PV-Anlage lässt sich der Anteil des PV-Stroms nur leicht erhöhen. Stark steigern lässt sich der Anteil dagegen mit einem grösseren stationären Batteriespeicher.
Pufferung kaum wirtschaftlich
Die Forscher haben zudem untersucht, wie sich der Einsatz einer stationären bzw. mobilen Batterie auf die Stromkosten auswirkt. Mit der stationären Batterie stiegen die Stromkosten an allen vier Teststandorten (um 97 bis 138 Fr./Jahr), verglichen mit den Stromkosten ohne Einsatz einer Speicherbatterie. Anders ausgedrückt: Die Einsparungen durch Verbrauch des eigenen PV-Stroms und das Lastmanagement sind geringer als die Beschaffungskosten für die stationäre Batterie. Die Studienverantwortlichen führen dieses Ergebnis auch auf die relativ hohen Verluste der verwendeten Batteriespeicher zurück. Stationäre Speicher der neusten Generation liessen hier bessere Ergebnisse erwarten, denn neben verbesserter Technik sind in letzter Zeit vor allem die Kosten für Batteriespeicher substantiell gesunken.
Etwas günstiger ist das Bild für die mobilen Speicher: Hier wurde an allen Standorten eine (geringe) Kosteneinsparung erzielt (bis 62 Fr./Jahr). Projektleiter Franco Bullo: «Die Einspeisevergütung für selbst produziertem PV-Strom ins Netz beträgt heute nur etwa die Hälfte im Vergleich zum Bezugspreis für Netzstrom. Daher ist der Energieaustausch mit dem Netz aktuell für den Kunden nicht lukrativ. Und das, obwohl stationäre wie mobile Pufferspeicher über Lastausgleich zur Netzstabilisierung beitragen und damit den Netzbetreiber in seiner Aufgabe unterstützen.» In Zukunft könnte das Tarifsystem so angepasst werden, dass der Beitrag von Batteriespeichern zur Netzstabilisierung finanziell attraktiver wird.
Vorteile, aber auch einige Einschränkungen
Stationäre Batteriespeicher können weiter auch zur Netzstabilisierung beitragen, allerdings – wie die Enerti-Wissenschaftler zeigen konnten – ist dies in einigen Fällen lokal nicht messbar. Der Grund liegt darin, dass der Lastausgleich zwar die Netzstabilität auf Transformer-Ebene verbessert, die Werte auf dem Haushalts-Niveau jedoch schlechter sein können.
Die Studie hat gezeigt, dass stationäre und mobile Batteriespeicher sowohl Vor- wie auch Nachteile besitzen, welche in jedem spezifischen Anwendungsfall abgewogen werden müssen (vgl. Tabelle 07). Die Frage, ob es sinnvoll ist, die Batterien von Elektromobilen als mobile Speicher heranzuziehen, hängt im Wesentlichen davon ab, wie ein Fahrzeug eingesetzt wird. Entscheiden sich Nutzer eines Elektroautos für eine Speicherlösung, müssen sie Einschränkungen bei der Reichweite in Kauf nehmen, da die Batterie meistens nicht vollständig geladen ist. Zudem muss das Auto möglichst lange an der bidirektionalen Ladestation angeschlossen sein, gerade auch während den PV-Strom-Produktionszeiten. Für Firmenwagen ist das in der Regel schwierig. Günstiger beurteilen die Wissenschaftler zum Beispiel die Situation bei Car-Sharing-Systemen. Gegen mobile Batteriespeicher sprechen zurzeit die technischen Standards: Bidirektionale Ladestationen nutzen heute den CHAdeMO-Standard für die Ladeinfrastruktur, der aktuell nur von Nissan, Mitsubishi und Kia unterstützt wird. Alle anderen Hersteller setzen auf den CCS-Standard, der im Moment nicht für bidirektionale Ladestationen genutzt werden kann.
Intelligente Ladestationen
Die Enerti-Studie kommt zum Schluss, dass Lösungen mit stationären Batteriespeichern solchen mit mobilen Speichern überlegen sind, zumal bei den stationären Speichern in jüngster Zeit eine dynamische technische Fortentwicklung zu beobachten ist. Allerdings sieht Franco Bullo einen weiteren Weg, um Batterien von Elektroautos noch besser nutzen zu können: «Intelligente Ladestationen könnten in Zukunft die Ladeleistung absenken oder unterbrechen, wenn das allgemeine Netz durch hohe Lasten beansprucht ist, und so zur Netzstabilisierung beitragen. Intelligente Ladestationen werden dabei auch sicherstellen, dass das Elektroauto voll geladen ist, wenn es gebraucht wird.» Dieses Vorgehen ist auf alle Elektrofahrzeuge mit Hybridantrieb (Plug-in-Hybrid) und reine Elektromobile anwendbar und – ein wichtiger Vorteil – es sind keine teuren bidirektionalen Ladestationen erforderlich.