Seit rund fünf Jahren erforschen Schweizer Wissenschaftler gemeinsam mit Industriepartnern, ob sich Strom in Form von komprimierter Luft in Felskavernen speichern lässt. Die Zwischenergebnisse zeigen: Die für Druckluftspeicher benötigten Technologien sind auf dem Markt verfügbar, und solche Speicher könnten künftig bei der Bereitstellung sekundärer Regelleistung möglicherweise rentabel arbeiten. Zur Zeit werden Investoren gesucht, die den Bau einer umfassenden Demonstrationsanlage realisieren mit dem Ziel, die bisher in Teilaspekten erprobte Technologie zur Marktreife weiterzuentwickeln.
Es gab eine Zeit, da waren die Stauseen in den Alpen der Stolz der Schweiz. Mit ihnen produzierte das Land seinen eigenen, umweltfreundlichen Strom. Zugleich stellten sie – genutzt als Pumpspeicherwerke – eine ebenso leistungsfähige wie lukrative Speichermöglichkeit für Strom bereit. Heute ist der Bau neuer Staudämme unter anderem aus landschaftsschützerischen Gründen kaum mehr möglich. Seit einigen Jahren kursiert eine neue, faszinerende Idee, wie sich die Bergwelt für die Stromwirtschaft nutzen liesse: Durch den Bau von Felsspeichern, die Strom nicht in Form von aufgestautem Wasser, sondern als Druckluft aufbewahren. Während Stauseen Energie saisonal speichern, sind Druckluftspeicher als Kurzzeitspeicher konzipiert: Sie könnten zeitweilige Produktionsüberschüsse von erneuerbarem Strom (z.B. Solarstrom) in den Alpen ohne Beeinträchtigung der Landschaft für Stunden oder Tage aufnehmen, bis der Strom von den Konsumenten gebraucht wird. Ferner könnten sie sogenannte Regelleistung zur Verfügung stellen, also Ausgleichsenergie, wie sie zur Stabilisierung des Stromnetzes benötigt wird.
In der Schweiz haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Hochschulen in den letzten gut fünf Jahren Druckluftspeicher erforscht. Sie wurden unterstützt vom Bundesamt für Energie (BFE), vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und von Innosuisse im Rahmen der Swiss Competence Center for Energy Research (SCCER). Die Forscher untersuchten gemeinsam mit Industriepartnern wie Airlight SA (Solarstromproduktion/- speicherung), MAN Energy Solutions
Schweiz AG (Kompressoren/Turbinen), Lombardi SA (Bau) und Amberg Group AG (Tunnelbau, Messtechnik), ob Felsspeicher technisch umsetzbar sind und wirtschaftlich betrieben werden könnten. Dr. Andreas Haselbacher, der als Vertreter der ETH Zürich an mehreren Forschungsprojekten beteiligt war, zieht aus den bisher vorliegenden Studien ein positives Fazit: «Ein Druckluftspeicher scheint grundsätzlich realisierbar, denn die erforderlichen Technologien sind auf dem Markt verfügbar. Unter optimalen Bedingungen würde ein solcher Speicher auch rentabel arbeiten, wenn er nämlich sekundäre Regelleistung bereitstellt, wie sie zur Stabilisierung des Schweizer Stromnetzes benötigt wird.»
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Ein Druckluftspeicher besteht im wesentlichen aus drei Hauptkomponenten: Beim Ladevorgang wandeln Kompressoren elektrische
Energie in heisse Druckluft um. Diese wird durch einen Wärmespeicher geleitet, damit abgekühlt und anschliessend in einer luftdichten Felskaverne aufbewahrt. Beim Entladevorgang fliesst die kalte Luft aus der Kaverne durch den Wärmespeicher, nimmt damit Wärme auf und wird dann in einer Turbine expandiert, welche über einen Generator Strom erzeugt. Weil hier nicht nur Druckluft, sondern auch die vom Kompressor erzeugte Wärme gespeichert wird, spricht man von einem adiabatischen Druckluftspeicher. Ein Pilotprojekt unter der Leitung von Dr. Giw Zanganeh in einem ausgedienten Tessiner NEAT-Stollen sammelte von 2014 bis 2016 erste Erfahrungen mit diesem Konzept. Das Forschungsvorhaben hat unter anderem bestätigt, dass ein aus Kieselsteinen und einer Aluminium-Kupfer- Silizium-Legierung aufgebauter Wärmespeicher die bei der Kompression
erzeugte Wärme wunschgemäss aufnimmt und abgibt. Das Projekt hat zudem die Dichtigkeit der Felskaverne bei einem Druck von 8 bar nachgewiesen (während der angestrebte Druck von 33 bar aufgrund eines technischen Problems bei der Stollenabdichtung nicht erreicht wurde). Somit fehlt bislang der experimentelle Nachweis, dass eine Felskaverne die 100 bar, die in einem kommerziellen Druckluftspeicher voraussichtlich herrschen werden, hinreichend gut, mit hoher Sicherheit und über Tausende von Betriebszyklen hinweg aushält.
Zusätzliche Erkenntnisse will nun ein BFEAnschlussprojekt gewinnen: Wissenschaftler der ETH Zürich wollen klären, in welcher Form (z.B. einer Kugel, eines Zylinders, mehrerer durch einen Stollen verbundener Prof. Maurizio C. Barbato, Leiter des Labors für Thermofluiddynamik am ‹Mechanical Engineering and Materials Technology Institute› (MEMTI) der
Fachhochschule Südschweiz. Zylinder oder eines Schachtes) eine Felskaverne zweckmässig und kostengünstig gebaut werden könnte. Auch soll untersucht werden, ob sich die Dichtigkeit einer Kaverne sicherstellen liesse, indem man sie mit einer (möglichst kostengünstigen) Kunststofffolie auskleidet. An dem Projekt sind die Sika AG (Spezialitätenchemie) und die Amberg Group AG beteiligt. Der Ergebnisse werden voraussichtlich im Verlauf dieses Jahres vorliegen.
Anwendung zur Bereitstellung von Regelleistung
Eine weitere, ebenfalls vom BFE getragene Studie wurde 2019 abgeschlossen. Sie hat das Verhalten der Turbomaschinen (Kompressoren,
Turbinen) untersucht, mit denen der Druckluftspeicher geladen bzw. entladen wird. Forscher der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI) führten gemeinsam mit der MAN Energy Solutions Schweiz AG und einem Team der ETH Zürich Simulationsrechnungen durch, denen marktübliche Turbomaschinen zugrunde lagen. Von besonderem Interesse war das transiente Verhalten der Turbomaschinen während des Hoch- und Herunterfahrens der Anlage. Es zeigte sich, dass der Energieverbrauch und die Zeit zum Starten der Turbomaschinen ins Gewicht fällt, wenn der Speicher mit kurzen Lade-/Entladezyklen (< 30 Minuten) bzw. mit tiefer Leistung(<30 Prozent) arbeitet. Die Wissenschaftler kamen zum Schluss, dass es energetisch am sinnvollsten ist, die Turbomaschinen in den Betriebspausen (kein Lade- oder Entladevorgang) gemächlich rotieren zu lassen und warm zu halten, damit sie nicht stillstehen und auskühlen. Damit lassen sich lange Aufstartzeiten nach Kaltstarts vermeiden.
«Ein Druckluftspeicher erreicht innerhalb weniger Minuten den optimalen Betriebspunkt zur Aufnahme und Abgabe von Strom. Er ist damit geeignet für die Bereitstellung von sekundärer Regelleistung», sagt SUPSI-Professor Maurizio Barbato. Bereitstellung von sekundärer Regelleistung bedeutet: Immer, wenn das Stromnetz über- bzw. unterversorgt ist, werden
Druckluftspeicher für kurze Zeit ge- bzw. entladen, um das Stromnetz zu stabilisieren. Der Schweizer Regelleistungsmarkt ist seit 2009 offen für alle Anbieter. Das Marktvolumen allein für sekundäre Regelleistung liegt im dreistelligen Millionen- Franken-Bereich. Betreiber von Druckluftspeichern
könnten von diesem Kuchen ein Stück abbekommen – vorausgesetzt, sie können die einmal gelieferte Regelleistung anschliessend auf dem Spotmarkt zu günstigen Konditionen wiederbeschaffen. Die Investitionskosten für einen 500 MWh-Druckluftspeicher mit bis zu
135 MW Lade- und 100 MW Entladeleistung liegen bei 100 bis 150 Mio. Franken. Etwa die Hälfte der Kosten entfällt auf den Kavernenaushub, etwa ein Drittel auf die Turbomaschinen und ca. 5 Prozent auf die beiden Wärmespeicher, so jüngst erstellte Expertenschätzungen.
Kavernen neu ausbrechen
2016 ging im Glarnerland das Pumpspeicherwerk Limmern in Betrieb. Bei Investitionskosten von 2.1 Mrd. Franken. kann die Anlage Spitzen- und Regelleistung bis zu 1000 MW zur Verfügung stellen und ist damit rund zehnmal grösser als der oben beschriebene Druckluftspeicher. Unter den Bedingungen des aktuellen Strommarkts arbeitet das Pumpspeicherwerk
defizitär. Trotz dieses schwierigen Umfeldes seien Druckluftspeicher
ein Zukunftsmodell, sagt Prof. Barbato vor dem Hintergrund kürzlich durchgeführter Wirtschaftlichkeitsrechnungen: «Heute arbeiten grosse Stromspeicher in unserem Land nicht rentabel, aber mittelfristig dürfte sich das ändern. Wir müssen immer mehr erneuerbare Energien aus dezentraler Produktion in unser Energiesystem integrieren, und dafür
brauchen wir eine grössere Verfügbarkeit von Speichersystemen, in der Schweiz, aber auch im Ausland.» Die Wissenschaftler haben verschiedene Speichersysteme verglichen (vgl. Tabelle 01). Demnach hat ein Druckluftspeicher zwar einen tieferen Wirkungsgrad als Pumpspeicherwerke, führt aber zu einem deutlich geringeren Eingriff in das alpine Ökosystem und ins Landschaftsbild. Druckluftspeicher sind zudem deutlich günstiger als Batteriespeicher.
Bleibt die Frage, wo Druckluftspeicher gebaut werden könnten. Leerstehende Armeekavernen in den Alpen kommen dafür nicht in Frage, wie Forscher in einem von 2017 bis 2020 laufenden SCCER Projekt zeigen konnten. Bestehende Kavernen haben nicht das erforderliche Volumen
und zudem eine grosse Oberfläche im Verhältnis zum Volumen, was zu relativ hohen Wärmeverlusten an den Fels führt. Problematisch sind auch die zahlreichen Zugänge, weil dies die Abdichtung aufwändig macht. Ferner befinden sich viele Kavernen nicht in Gebieten mit gutem – also dichtem – Fels. Kavernen für Druckluftspeicher müssen als neu ausgebrochen werden. Dies ist immer noch günstiger als der Bau eines Druckbehälters aus Beton, wie das EU-Projekt RICAS 2020 gezeigt hat, an dem die ETH ebenfalls beteiligt war.
Suche nach Investoren
Soll in der Schweiz ein Druckluftspeicher Wirklichkeit werden, müsste als nächstes eine Demonstrationsanlage gebaut werden. Sie hätte noch nicht die Leistung eines kommerziellen Speichers, würde aber alle Komponenten in marktgängiger Ausführung enthalten und wäre ans Stromnetz angeschlossen. Wer eine solche Anlage – die Kosten liegen in der Grössenordnung von 10 Mio. Franken – finanzieren könnte, ist im Moment offen. Interesse ist in der Schweizer Industrie durchaus vorhanden. «Die Bereitstellung von Druckspeicherlösungen zur Umsetzung der neuen Energiepolitik trifft exakt unsere neue strategische Ausrichtung», sagt Dr. Philipp Jenny von der MAN Energy Solutions Schweiz AG (Zürich), die ihren Ursprung im Turbomaschinen- Geschäft des Sulzer-Konzerns hat. Interesse signalisiert auch Felix Amberg, Verwaltungsratspräsident der Amberg Group (Regensdorf / ZH). «Wir sind sehr interessiert, unser bautechnisches Knowhow bei Konzeption und Bau einer solchen Anlage einzubringen.» Der Bau einer Demonstrationsanlage bleibt ein Kraftakt.